Samstag, 29. Oktober 2011

Verschiedenes


Leute, fangt an einen Blog zu schreiben! Ihr bereichert euch damit um ein weiteres Zitat, das zu jeder Gelegenheit fallen darf: „That’s totally going into my blog“. Leider verbleibt es häufig bei dieser Androhung. Die Umsetzung erfolgt ja meist doch eher…verzögert.

Wie üblich jeglicher Chronologie entbehrend muss ich mal einen Satz über die spanischen Autofahrer loswerden. Ihr spinnt! Die ersten ein, zwei Male dachte ich noch, dass da offensichtlich jemand eine Nacht mit wenig Schlaf verbracht haben musste. Mittlerweile weiß ich: es gibt eine erschreckende Anzahl spanischer Autokünstler, die ihr Vehikel verunstalten. Nicht etwa durch zu schnelles Fahren. Nein – sie fahren beim Einparken einfach so lange rückwärts, bis ein energisches Knirschen signalisiert, dass sie die Hauswand erreicht haben. Oder sie „grinden“ in alter Tony Hawk-Manier entlang eines Bordsteins (ohne ersichtlichen Grund). Mittlerweile habe ich ein Dutzend solcher Beispiele gesehen. Umso schmerzhafter werden die Erlebnisse durch die Tatsache, dass hier in Spanien gefühlt die Hälfte aller Autos aus dem wohlhabenderen Land etwas weiter nordöstlich von Spanien kommt. Mercedes, VW, Audi – die deutschen Erzeugnisse sind hier anscheinend beliebter als in Deutschland selbst. Vielleicht liegt das auch daran, dass der einzig große spanische Autobauer (SEAT) seit mehr als 20 Jahren zu VW gehört...

Die Halbwertszeit eines Fahrradfahrers ist in Spanien definitiv etwas beschränkter als das beispielsweise in Deutschland der Fall ist. Letztendlich erinnert mich der Fahrstil hier ein bisschen an den der Japaner: die ansonsten allen Regeln folgenden Japaner fahren bei Rot über die Straße, radeln fröhlich entgegen der Einbahnstraßenrichtung im Rush-Hour-Verkehr und nutzen überfüllte Bürgersteige als Fahrradwege. Der einzige Unterschied ist, dass ein Japaner NIEMALS seine Klingel benutzen würde um voran zu kommen. Da kann man zum Teil dann amüsante Szenen beobachten wie ein japanischer Geschäftsmann im Anzug geschlagene 60 Sekunden hinter zwei alten Frauen voranzuckelt, weil diese seine Präsenz nicht erahnen (können).
Durch das Ignorieren der Ampeln kommt man im weitläufigen Sevilla sehr schnell voran. Wie ironisch ist es da, dass ich einen Unfall hatte, als ich regelgerecht bei Grün über die Straße bin (siehe weiter unten)… Ob das ein schicksalshaftes Zeichen zu mehr Ungehorsam gegenüber den Straßenverkehrsregeln ist? Nein, ich denke nicht!



Hätte ich doch bloß meine Klappe gehalten! Kein Regen, zu warm? Nun, meine Wünsche wurden erhört. Vor fünf Tagen hat es erstmalig geregnet. Ich war glücklich wie ein Regenwurm. Es war kein kleiner Nieselschauer, sondern ein richtig ordentlicher Dauerregen mit zufriedenstellendem Durchsatz.
Seitdem hat es wieder und wieder geregnet und möchte auch nicht so recht aufhören. Die Temperaturen sind von tagsüber 30 Grad im Schatten auf unter 20 Grad zurückgegangen. Unter 20°C! Man sollte bedenken, dass es die vorigen Wochen nicht einmal nachts unter diese arktisch anmutende Kältegrenze gefallen ist. Nun muss ich meinen Pullover doch noch aus der dunkelsten Ecke meines Schrankes hervorholen und ihn seiner Bedeutung zukommen lassen. 

Bevor ich jetzt allzu viel Fanmail bekomme: ja, ich bin mir bewusst, dass die Temperaturen in Deutschland andere sind. Aber meckern (oder sollte ich sagen: wettern) wird man ja wohl noch dürfen, oder? Immerhin schließe ich mich damit nur der großen Mehrheit der modernen westlichen Bevölkerung an, deren Lebensinhalt immer weniger daraus zu bestehen scheint, glücklich zu sein.



Kommen wir zu einer interessanten Beobachtung von Land und Leuten: der Sozialstruktur. Insgesamt ist Spanien relativ bunt durchmischt. Sonderlich starke ethnische Zentren (Chinatown etc.) habe ich bisher noch in keinem Gebiet ausmachen können, jedenfalls solange man die jugendlichen botellón-Trinker nicht in den Status einer solchen Aggregation erhebt. Diese häufen sich nämlich in der Tat in der Regel an ganz bestimmten Orten an. Dazu gehören der Fluss, der Guadalquivir, und vielfach relativ zentrale Plätze wie der Plaza del Salvador oder die Alameda. Mit mehreren hundert (friedlichen) trinkenden Zeitgenossen kann man zumindest im Zeitraum von Donnerstag bis Samstag rechnen.
Allerdings muss ich immer wieder bestürzt feststellen, dass sehr viele Schwarzafrikaner offensichtlich nicht wirklich in der regulären Arbeitsgesellschaft integriert sind. Man sieht (verglichen mit England etwa) nur sehr vereinzelt dunkelhäutige Menschen. Jedoch sind sie dann in der Mehrheit der Fälle damit beschäftigt, Taschentücher an die Autoinsassen in den Autoschlangen vor roten Ampeln zu verkaufen. Eine weitere Hauptbeschäftigung liegt im Verkaufen von Uhren, Schmuck und sonstigem Krempel. Nach einigen Unterhaltungen habe ich festgestellt, dass Spanischkenntnisse meist nicht vorhanden sind. Ich empfinde es als sehr schade, dass in diesem Fall die Integration vollkommen versagt. Selbstverständlich muss man aber auch bedenken, dass Südspanien für viele Arbeitsuchende aus Afrika die erste Station ist. Nichtsdestotrotz müsste es da doch eine andere Lösung geben.

Eine weitere offensichtliche Auffälligkeit ist die Vielzahl an Obdachlosen. In der Nähe des Flusses stehen viele Zelte oder durch Pappe konstruierte Hilfsbauten, an sehr zentralen Orten errichten sie sich ein kleines Refugium – überall halten sich Obdachlose auf. Die meisten von denen scheinen nicht die Intention zu haben um Geld zu bitten. Viele begnügen sich mit dem Verzehren ihrer Weinflasche oder sonstigen Alkoholitäten…

Eigentlich wollte ich jetzt noch etwas zu meiner Marokko-Tour schreiben. Aber die Schreiblust hat mich schon wieder verlassen. Bis bald!

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Facebook! Du nie versiegender Quell eitler Oberflächlichkeiten. Du grandiose Möglichkeit zum Null- und Nichtigmachen meiner wertvollen Zeit. Du fabulöses Netzwerk der Unpersönlichkeit. Facebook! Du Datenkrake, du schwarzes Loch der Informationen, du verstopfter Abfluss von all dem, was wir eigentlich nicht mehr in unserem Spülbecken haben wollen. Facebook!

Wer von den etwas betagteren Lesern der Meinung ist, es zeuge von zu wenig Respekt wenn ich Facebook gegenüber das „du“ verwende, der hat den Flow der Zeit noch nicht erkannt. Im Internet haben wir uns lieb, sind alle ein graues Einerlei aus anonymer Haferbrei-Masse und versuchen doch so individuell zu sein. Wir duzen uns nicht nur, wir „yo, Digga, was geht“n uns und schicken uns poetischste, einzeilige/drei-wörtrige, gut gemeinte Geburtstagsgrüße wie „Alles Gute!!! Xxx“.
Genug der halbherzigen Kritik. Facebook und ich haben ein ähnlich pseudo-kritisches Verhältnis wie Marcus und die Umweltverschmutzung – ständig bin ich mental am Lamentieren und doch ändere ich ebenso wenig an meinem Verhalten wie alle anderen auch!

Auslöser? Ich habe jetzt schon von mehreren Personen vernehmen dürfen, ich müsse doch endlich mal mein Profilfoto austauschen. Wer hat HEUTZUTAGE noch ein schlecht beleuchtetes Foto, das den Betreffenden naiv-glücklich mit sich, seiner Webcam und dem neutralen Teil seines unaufgeräumten Zimmers zeigt? Und wenn man keine Einzelfotos hat? Dann nimmt man halt eines mit mehreren Personen, schneidet sein Gesicht in eine schöne Form, lässt ein paar Filter drüber laufen und präsentiert sich als das Sonnenkind dieser Erde.
Das Schlimmste ist, dass ich seitdem ständig den Gedanken habe „Hm, du müsstest eigentlich mal dein Facebook-Foto ändern“. Glücklicherweise war ich bisher immer zu faul um ernsthaft nach einem neuen Foto zu suchen.

Gespräch mit einer Amerikanerin: „Wenn ich das richtig mitbekommen habe, ist Facebook bei euch ein essentieller Bestandteil des sozialen Miteinanders. Viele haben ja deutlich mehr als 500 Freunde. Wie viele hast du eigentlich?“ „Mehr als 1200. Aber ich kenne sie alle. Ich gehe regelmäßig die Geburtstagsliste durch und lösche all jene Namen, die mir im ersten Augenblick nichts sagen. Wie viele Freunde nennst du denn dein Eigen?“ „Vielleicht 150…“ „WAAAS? Aber du kannst doch niemals so wenig Leute kennen!“
Das Schlimmste ist, dass mein Freundescounter sich exponentiell zu einer Zahl hin entwickelt, die nicht unbedingt von ausnahmslos tiefen Freundschaften zeugt. Zumindest wird die Mehrheit dieser Menschen (in ferner Zukunft) nicht in die potenzielle Casting Show „Marcus‘ next Trauzeuge/Trauzeugin“ eingeladen werden.

Bombardiert-Werden mit Informationen. Jener Virus, der sich „Zeittotschlagen“ nennt ist recht pfiffig. Über Facebook hat er viele Wirte, die ihn in die hintersten Winkel der Welt befördern. Das „Sharen“ von Videos, Websites, Songs etc. sorgt für ordentliche Ablenkung. Bisher habe ich mich dem immer größtenteils entzogen.
Das Schlimmste ist, dass ich nun selbst etwas sharen werde. Ich fand den Film „Pina“ nämlich außerordentlich genial, da es in meiner Filmkarriere bisher noch nie eine solche Fülle an unterschiedlichen Gefühlen in so kurzer Zeit erleben durfte.

Genug der Tiraden. Ich bin hier, um euch etwas über meine Erlebnisse sowie Land und Leute zu berichten.
Zu meinen Erlebnissen: seit meinem letzten Eintrag haben sich viele erste Male ereignet (http://www.youtube.com/watch?v=obXIGfPXAio). 

Auf ein erstes Mal warte ich jedoch nach wie vor noch – Regen! Zum Donnerwetter – wann bekomme ich denn bitteschön endlich einmal eine Abkühlung? Kein Nieselregen, kein Graupelschauer, kein Wolkenbruch, kein Dauerregen, keine vom Himmel regnende Frösche, kein saurer Regen – nichts! Höchstens einmal wenn das Blumentopfwasser der Nachbarn herunter auf die Straße tropft. Möchte man sich dort glücklich lächelnd berieseln lassen? „Let it rain over me!“ Zur Zeit hilft mir nur die Seite www.rainymood.com. Oder eine Dusche. Aber das ist nicht das gleiche! Glücklicherweise werden wöchentlich sonntags Strandtouren angeboten. Da kann ich dann meinen Körper von „echtem Wasser“ umspülen lassen.

Wo wir gerade beim Thema sind – gestern, den 12.10.2011 war dankenswerterweise ein Feiertag. Da keine Gelegenheit von den Erasmus-Organisationen ungenutzt bleibt, wurde etwas angeboten. Was wohl? Eine Strandtour! Wunderbar. Da ich sowieso keine anderen Pläne hatte, habe ich die 13 Euro guten Herzens investiert.
Nun denn, Dienstagabend. Marcus, morgen früh um 7.30 Uhr aufstehen um zum Strand zu fahren. Ruhigen Abend verbringen! Also in eine Bar. „Am Torre del Oro gibt’s eine Botellón. Lass uns doch da hingehen!“ Nichts Böses ahnend mitgegangen. Sozialisiert. Festgestellt, dass es fast nur Spanier dort gab. Erasmus-Studenten in Minderheit. I like! „Tienes que probarlo!“. „Aquí es otra bebida.“ Gegen 3.30 Uhr festgestellt, dass der Antritt der Heimreise angebracht wäre. Um 4.40 Uhr letztes Mal sichergestellt, dass der Wecker auch sicher klingen wird. Um 10.30 Uhr von Mitbewohner geweckt. Der despertador verweilt in meiner Hand. Bullocks!
Soviel zur ständig überschätzten Selbstdisziplin. Der Abend am „Torre“ hat sich vollständig gelohnt. Aber ich hätte schon gerne im Atlantik geplanscht.

Wo wir gerade vom Thema abgekommen sind: wir waren bei den ersten Malen. Am Samstag war ich erstmalig in einem spanischen Kino. Und ich denke es ist ebenso neu, dass ich von einem Film ohne Handlung so restlos begeistert bin. „Pina“ ist letztendlich nur eine Aneinanderreihung von unterschiedlichen Szenen aus Theaterstücken. Mal sind die Szenen 30 Sekunden lang, mal 5 Minuten. Und mittendrin gibt es immer mal wieder kurze Interviews. Die Art und Weise des Tanztheaters, die Umsetzung von menschlichen Emotionen, die Intensität – alles ist unglaublich gut umgesetzt. Große Empfehlung. Wir haben den Film in 3D gesehen. Eigentlich bin ich nicht der größte aficionado von 3D. Meiner Erfahrung nach gibt es dem Kinoerlebnis nicht viel mehr als einen etwas leichteren Geldbeutel. Nichtsdestotrotz hat man sich dadurch ein kleines bisschen mehr als Theaterbesucher gefühlt.

Am Sonntag bin ich la primera vez bereits um 6.30 Uhr aufgestanden. Um in der Tat erstmalig in meinem Leben zu einem großen Flohmarkt zu gehen. Vor Ort wird er meist als ein Zigeuner-Markt bezeichnet. Was es da alles für einen Müll zu kaufen gibt, Wahnsinn! Ich habe mich gegenüber den verrosteten Werkzeugen, dem improvisierten Friseur und den Pornofilm-Ständchen unbeeindruckt gezeigt und habe zielstrebig nach einem geeigneten Fahrrad geschaut. Begleitet wurde ich durch meinen Mitbewohner und drei Bekannten aus Italien. Mit unserem gesteckten Budget (etwa 30 Euro) war es gar nicht so einfach ein passendes Gefährt zu finden. Nach einigem Suchen und noch einigerem Verhandeln hielt ich dann mein eigenes Fahrrad in den Händen. Welch Triumph-Gefühl!

For the first time I could return back home with my own bike! Den Sonntag habe ich – in alter Tradition – mit meinem Mitbewohner und den Mädels aus Polen verbracht. Diesmal sind wir in einen etwas weiter abgelegenen Ort mit dem Bus gefahren. Alcalá hat eine verlassene, aber teils erhaltene römische Festung zu bieten (ein „castillo“), einen langen unbeleuchteten unasphaltierten Tunnel, der nichts mit nichts verbindet, und einen wunderschönen Park.
Eine freundschaftliche „Rangelei“ zwischen meinem Mitbewohner und einer Polin führte dazu, dass Paulo mitsamt Rucksack, Handy, Kleidung und sonstigen Habseligkeiten in den "Ententeich" fiel. Ich entschuldige – eigentlich gab es auf dem Teich nur Schwäne. Pudelnass stieg er aus dem nach Schwan riechenden Teich, während wir anderen uns ein lautstarkes Lachen nicht verkneifen konnten. Jedoch – schade ums Handy!
Das Ende vom Lied war unerwarteterweise, dass Paulo zusammen mit zweien der Polinnen im Teich gebadet hat. Ohne versehentliches Hereinfallen. Pure Absicht! Ich hatte die Aufgabe, das Ganze dokumentarisch festzuhalten. Somit war es auch der erste Tag, an dem ich endlich mal selbst ein paar mehr Erinnerungen auf den Speicher-Chip gepresst habe. Ich bin leider üblicherweise sehr Foto-faul. Das schönste Motiv habe ich glatt mal hochgeladen. Es scheint, als würden die drei auf dem Wasser schweben!



Am Montag hätte ich das erste Mal pünktlich in der Uni sein können. Leider stellte ich fest, dass die Schlüssel für das eben gekaufte Schloss direkt am selbigen befestigt waren und ohne Schere nicht entfernt werden konnten. Dadurch gab es dann doch noch die entscheidende Verzögerung.

Am Dienstag Premiere – pünktlich in der Uni dank eigenem Fahrrad! Auf dem Rückweg ebenfalls ein Novum. Marcus‘ erste Fahrrad-Kollision mit einem Auto. Herzlichen Glückwunsch! Fahrrad-Ampel grün, richtige Seite, verhältnismäßige Geschwindigkeit – und das Auto biegt ohne zu schauen oder gar anzuhalten rechts ab. Nun ist mein Fahrrad ganz lustig deformiert. Fast schon kunstvoll. Mir ist bei dem Spaß gar nichts passiert. Letztendlich bin ich dem Auto auch „nur“ mit relativ langsamer Geschwindigkeit in die Seite reingefahren. Aber ärgerlich ist das Ganze trotzdem.

Ich denke das reicht erst einmal. Beim nächsten Mal werde ich wieder mehr zum Thema Land und Leute schreiben, versprochen! Freut euch auf Eindrücke aus Marokko. Da geht es nämlich für mich ab morgen hin!

Bis bald,
Marcus

Update: Ich habe jetzt DOCH ein neues Foto bei Facebook hochgeladen. Aus einem anderen Bild ausgeschnitten – und es mutet einfach nur bescheuert an. Inklusive einer Hand aus dem Nichts. Ich werde wohl in Marokko viele Fotos schießen müssen und damit sowohl Bildmaterial für diesen tristen Blog als auch Fotos meiner Selbst für die Ewigkeit haben. Grandios! Danke, Facebook!

Sonntag, 2. Oktober 2011

Sonntag


Ich bin richtig sauer. Auf meinen Mitbewohner – er ist einfach zu rücksichtsvoll!

Folgendes: Sonntags gibt es in Sevilla einen großen Markt. Er ist aus unterschiedlichen Gründen gut besucht. Der Hauptgrund warum neue sevillanische Studenten dort hingehen ist jedoch folgender: Es werden jede Menge geklauter Fahrräder feilgeboten. Klingt wie eine die humoristische Qualität des Textes steigernde Aussage? Ist es nicht! In Sevilla werden Fahrräder im großen Stil geklaut. Das weiß ich nicht nur vom abstrakten Hörensagen, sondern aus zweiter Hand…
Die Stadtverwaltung hat sich daher etwas ganz Großartiges ausgedacht. Es gibt 250 sogenannte „Sevici-Stationen“, die über der Stadt verteilt sind. Sevici ist – wer hätte das gedacht – ein Kunstwort aus „Sevilla“ und „bicicleta“, Kurzform „bici“, zu Deutsch Fahrrad. An jeder Station gibt es zwischen 15 und 40 Fahrradständern mit maximal ebenso vielen Fahrrädern. Man geht hin, hält sein Kärtchen ran und hat nach einigen Klicks innerhalb von weniger als einer Minute ein Fahrrad verfügbar. Man kann es risikofrei an einer zweiten Station abstellen und sich später wieder irgendein anderes nehmen. Diese wunderbare Idee kostet den Nutzer schwindelerregende 25€… im Jahr!

Falls – wie erhofft und dank Stasi 2.0 erwartet – irgendein verantwortliches Regierungsmitglied diesen Blog mitlesen sollte, dann möchte ich diesen Wunsch loswerden: Bitte führt dieses System in jeder größeren Stadt Deutschlands ein. Und baut im gleichen (Atem-)Zuge die Fahrradwege aus. Hört aber bitte auch auf meine Daten zu sammeln und meinen Blog auszuwerten. Ich danke vielmals!

Natürlich gibt es Haken – man kann nur ein Fahrrad ausleihen wenn gerade eins verfügbar ist. Ebenso kann man Fahrräder nur abstellen, wenn nicht alle Ständer belegt sind. Beides ist im Normalfall kein Problem. Der fiese Spezialfall lautet allerdings – Uni! Dort ist permanent kein freier Ständer verfügbar. Daher „wanted – individuelles Fahrrad“.“
Nun denn – der Markt ist eine gute Möglichkeit um günstig (~50€) Fährrader zu erwerben. Leider war ich bis um 3 Uhr auf einer Party. Abgemacht war, dass ich mit meinem Mitbewohner um 6 Uhr aufstehe, damit wir uns um 7 Uhr mit polnischen Freundinnen treffen können um gemeinsam einen fahrbaren Untersatz zu ershoppen.

Ich wache also auf. Nehme zur Kenntnis, dass mein Wecker in meiner Hand verweilt. Ebenso, dass mich die Sonne anlacht (Sonne geht erst nach um 8 Uhr auf, das weiß ich sogar aus einer Primärquelle – erfolgloser Versuch des Betrachtens eines Sonnenaufganges nach einer laaangen Party). Ich vernehme Stimmen, torkel ins Wohnzimmer und sehe mich meinem Mitbewohner und den drei Polinnen gegenüber. Immerhin hatte ich zumindest Boxershorts an – was bei mir nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit ist!
Alle lachen mich an und erzählen mir von den erworbenen Produkten. Schlagfertig  wie ich mit krausen Haaren und mikrometerweit geöffneten Augen bin, antwortete ich vorerst nicht und ging in mein Zimmer um mir ein etwas angemesseneres Kostüm für drei hübsche Mädchen anzuziehen!

Warum ich wie eingangs erwähnt deswegen „sauer“ bin? Weil ich den Markt auch sehen wollte! Aus drei unabhängigen Quellen wurde mir bestätigt, dass er zwielichtig ist und man ihn nicht unbedingt alleine betreten sollte („viele Zigeuner“). Das habe ich verpasst, weil Paulo mich nicht geweckt hat! Warum sollten 3 Stunden Schlaf nicht ausreichen? Das ist Erasmus! Ich musste mich schwierigen Tests in Dresden unterziehen um auf meine Partytauglichkeit und Schlafimmunität hin überprüft zu werden, bevor ich die Zusage bekam!
Wo ich gerade textlich bei meinem Mitbewohner verweile – ich habe noch NIE einen solch netten und hilfsbereiten Menschen getroffen. Manche werfen ja gerne mit Superlativen um sich: „das war das Krasseste/Derbste/Verrückteste, das muss ich dir erzählen“! Ich übertreibe aber nicht – einen so herzlichen Menschen findet man nicht so schnell wieder.

Am ersten Tag verstanden wir uns sehr gut. Am dritten verhielten wir uns wie gute Freunde. Nach einer Woche hatte ich für ihn den Status eines Familienmitglieds (hermano menor). Er kocht wie ein Weltmeister. Der Rekord liegt bisher bei drei Mal an einem Tag. Aber mit den durchschnittlich zwei warmen (leckeren!) Mahlzeiten am Tag bin ich auch zufrieden. Wir unterhalten uns jeden(!) Tag mehrere Stunden. Lieblingsthema sind… Frauen. Wir sind in den letzten zwölf Tagen acht Mal joggen gegangen. Er begleitet mich mit seinem fortgeschrittenen Alter von 32 Jahren den Naturgesetzen trotzend ausdauernd zu Erasmus- und sonstigen Partys. Als Micha, ein Kommilitone aus meiner Vertiefungsrichtung des Studiums in Dresden, mit seiner Frau/Freundin hier war, hat er sich mehr um die beiden gekümmert als ich. Michas O-Ton: „du hast es hier schon zieeeeemlich gut getroffen“.


Nunja, die morgendliche Episode endete so, dass wir Churros essen gingen. Hierbei handelt es sich um eine sehr verbreitete spanische Süßigkeit, die typischerweise nachts nach dem Feiern verzehrt wird.  Danach sind wir per Fahrrad von Park zu Park gefahren um schlussendlich im wunderschönen Parque de María Luisa auf eine große Gruppe Fahrradfahrer zu treffen. Sagte ich groß? Sagen wir besser riesig. Es fällt immer schwer, Menschenmengen einzuschätzen. Ein paar Hundert wirken meist schon wie die Mehrheit der Weltbevölkerung. Nichtsdestotrotz bin ich der „objektiven Meinung“ (schön wie sich das beißt), dass mindestens 1000 Fahrradfahrer in der Gruppe mitfuhren – mit viel Platz nach oben. Die Aktion lief unter dem Motto von Organspenden – I like!
Im gemütlichen Tempo ging es auf den großen Hauptstraßen durch die Stadt. Selbstverständlich war der Autoverkehr durch Polizisten unterbrochen worden. Alles in allem ein großes Miteinander – I like! Schlussendlich ging es in einen schönen Park, indem die ganze Meute bei gemütlicher Musik mit Getränken zu durchaus akzeptablen Preisen versorgt wurde. Insgesamt ein schöner Sonntagvor- und –mittag.

Das reicht erst mal.
Marcus