Ich bin richtig sauer. Auf meinen Mitbewohner – er ist einfach zu rücksichtsvoll!
Folgendes: Sonntags gibt es in Sevilla einen großen Markt. Er ist aus unterschiedlichen Gründen gut besucht. Der Hauptgrund warum neue sevillanische Studenten dort hingehen ist jedoch folgender: Es werden jede Menge geklauter Fahrräder feilgeboten. Klingt wie eine die humoristische Qualität des Textes steigernde Aussage? Ist es nicht! In Sevilla werden Fahrräder im großen Stil geklaut. Das weiß ich nicht nur vom abstrakten Hörensagen, sondern aus zweiter Hand…
Die Stadtverwaltung hat sich daher etwas ganz Großartiges ausgedacht. Es gibt 250 sogenannte „Sevici-Stationen“, die über der Stadt verteilt sind. Sevici ist – wer hätte das gedacht – ein Kunstwort aus „Sevilla“ und „bicicleta“, Kurzform „bici“, zu Deutsch Fahrrad. An jeder Station gibt es zwischen 15 und 40 Fahrradständern mit maximal ebenso vielen Fahrrädern. Man geht hin, hält sein Kärtchen ran und hat nach einigen Klicks innerhalb von weniger als einer Minute ein Fahrrad verfügbar. Man kann es risikofrei an einer zweiten Station abstellen und sich später wieder irgendein anderes nehmen. Diese wunderbare Idee kostet den Nutzer schwindelerregende 25€… im Jahr!
Falls – wie erhofft und dank Stasi 2.0 erwartet – irgendein verantwortliches Regierungsmitglied diesen Blog mitlesen sollte, dann möchte ich diesen Wunsch loswerden: Bitte führt dieses System in jeder größeren Stadt Deutschlands ein. Und baut im gleichen (Atem-)Zuge die Fahrradwege aus. Hört aber bitte auch auf meine Daten zu sammeln und meinen Blog auszuwerten. Ich danke vielmals!
Natürlich gibt es Haken – man kann nur ein Fahrrad ausleihen wenn gerade eins verfügbar ist. Ebenso kann man Fahrräder nur abstellen, wenn nicht alle Ständer belegt sind. Beides ist im Normalfall kein Problem. Der fiese Spezialfall lautet allerdings – Uni! Dort ist permanent kein freier Ständer verfügbar. Daher „wanted – individuelles Fahrrad“.“
Nun denn – der Markt ist eine gute Möglichkeit um günstig (~50€) Fährrader zu erwerben. Leider war ich bis um 3 Uhr auf einer Party. Abgemacht war, dass ich mit meinem Mitbewohner um 6 Uhr aufstehe, damit wir uns um 7 Uhr mit polnischen Freundinnen treffen können um gemeinsam einen fahrbaren Untersatz zu ershoppen.
Ich wache also auf. Nehme zur Kenntnis, dass mein Wecker in meiner Hand verweilt. Ebenso, dass mich die Sonne anlacht (Sonne geht erst nach um 8 Uhr auf, das weiß ich sogar aus einer Primärquelle – erfolgloser Versuch des Betrachtens eines Sonnenaufganges nach einer laaangen Party). Ich vernehme Stimmen, torkel ins Wohnzimmer und sehe mich meinem Mitbewohner und den drei Polinnen gegenüber. Immerhin hatte ich zumindest Boxershorts an – was bei mir nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit ist!
Alle lachen mich an und erzählen mir von den erworbenen Produkten. Schlagfertig wie ich mit krausen Haaren und mikrometerweit geöffneten Augen bin, antwortete ich vorerst nicht und ging in mein Zimmer um mir ein etwas angemesseneres Kostüm für drei hübsche Mädchen anzuziehen!
Warum ich wie eingangs erwähnt deswegen „sauer“ bin? Weil ich den Markt auch sehen wollte! Aus drei unabhängigen Quellen wurde mir bestätigt, dass er zwielichtig ist und man ihn nicht unbedingt alleine betreten sollte („viele Zigeuner“). Das habe ich verpasst, weil Paulo mich nicht geweckt hat! Warum sollten 3 Stunden Schlaf nicht ausreichen? Das ist Erasmus! Ich musste mich schwierigen Tests in Dresden unterziehen um auf meine Partytauglichkeit und Schlafimmunität hin überprüft zu werden, bevor ich die Zusage bekam!
Wo ich gerade textlich bei meinem Mitbewohner verweile – ich habe noch NIE einen solch netten und hilfsbereiten Menschen getroffen. Manche werfen ja gerne mit Superlativen um sich: „das war das Krasseste/Derbste/Verrückteste, das muss ich dir erzählen“! Ich übertreibe aber nicht – einen so herzlichen Menschen findet man nicht so schnell wieder.
Am ersten Tag verstanden wir uns sehr gut. Am dritten verhielten wir uns wie gute Freunde. Nach einer Woche hatte ich für ihn den Status eines Familienmitglieds (hermano menor). Er kocht wie ein Weltmeister. Der Rekord liegt bisher bei drei Mal an einem Tag. Aber mit den durchschnittlich zwei warmen (leckeren!) Mahlzeiten am Tag bin ich auch zufrieden. Wir unterhalten uns jeden(!) Tag mehrere Stunden. Lieblingsthema sind… Frauen. Wir sind in den letzten zwölf Tagen acht Mal joggen gegangen. Er begleitet mich mit seinem fortgeschrittenen Alter von 32 Jahren den Naturgesetzen trotzend ausdauernd zu Erasmus- und sonstigen Partys. Als Micha, ein Kommilitone aus meiner Vertiefungsrichtung des Studiums in Dresden, mit seiner Frau/Freundin hier war, hat er sich mehr um die beiden gekümmert als ich. Michas O-Ton: „du hast es hier schon zieeeeemlich gut getroffen“.
Nunja, die morgendliche Episode endete so, dass wir Churros essen gingen. Hierbei handelt es sich um eine sehr verbreitete spanische Süßigkeit, die typischerweise nachts nach dem Feiern verzehrt wird. Danach sind wir per Fahrrad von Park zu Park gefahren um schlussendlich im wunderschönen Parque de María Luisa auf eine große Gruppe Fahrradfahrer zu treffen. Sagte ich groß? Sagen wir besser riesig. Es fällt immer schwer, Menschenmengen einzuschätzen. Ein paar Hundert wirken meist schon wie die Mehrheit der Weltbevölkerung. Nichtsdestotrotz bin ich der „objektiven Meinung“ (schön wie sich das beißt), dass mindestens 1000 Fahrradfahrer in der Gruppe mitfuhren – mit viel Platz nach oben. Die Aktion lief unter dem Motto von Organspenden – I like!
Im gemütlichen Tempo ging es auf den großen Hauptstraßen durch die Stadt. Selbstverständlich war der Autoverkehr durch Polizisten unterbrochen worden. Alles in allem ein großes Miteinander – I like! Schlussendlich ging es in einen schönen Park, indem die ganze Meute bei gemütlicher Musik mit Getränken zu durchaus akzeptablen Preisen versorgt wurde. Insgesamt ein schöner Sonntagvor- und –mittag.
Das reicht erst mal.
Marcus
Muszę przyznać, że w tych bokserkach i z zaspanymi oczami byłeś bardzo uroczy. ;)
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