Freitag, 2. Dezember 2011

26.11., 2 Uhr morgens

2 Uhr morgens - Schlafenszeit?
Nun, ich muss etwas gestehen: mein Leben hier gestaltet sich ablaufmäßig etwas anders. Vor um 3 Uhr komme ich eigentlich nie ins Bett und dementsprechend stehe ich auch meist erst irgendwann zwischen 9 und 11 Uhr auf, je nachdem wie un-Erasmus-freundlich meine Kurse liegen. Allerdings wird man hier auch dazu gedrängt, nach einer anderen inneren Uhr zu funktionieren.

Vielleicht ist es für viele keine Neuigkeit, aber ich möchte es dennoch einmal betonen: vor um 2 Uhr braucht man in Sevilla nicht erwarten in einem Club viele Menschen anzutreffen. Vielleicht kann man mit einer Wärmelichtkamera ein paar einzelne Exemplare orten. Dabei handelt es sich dann meist um die Spezies der Erasmus-Studenten, die nur bis 1:30 Uhr kostenlosen Eintritt erhalten. Die Diskotheken füllen sich üblicherweise erst später. Einmal habe ich bis um 6:30 Uhr ausgeharrt, in einer normalen Diskothek (ich rede hier nicht von einer Elektrospelunke!) an einem Donnerstag ohne folgenden Feiertag. Die Lokalität war nach wie vor ordentlich gefüllt, auch wenn tatsächlich schon einer der drei Dancefloors geschlossen wurde. Sollte ich eines Tages darin reüssieren, als letzter rausgeworfen zu werden, dann werde ich das mit einem eigenen Blog-Artikel würdigen. Nein Mann - Ich will noch nicht GEH'N - Ich will noch 'n bisschen TANZEN! Komm schon, Alter...

Ihr wollt ein weiteres Beispiel für den Tagesablauf? Nun, mein Salsa-Kurs fand anfänglich von um 23 Uhr bis um 1 Uhr statt. Wer mir einen zeitlich ähnlich gelagerten Kurs in Deutschland bieten kann, der bekommt ein ganz duftes Bienchen von mir.
Wenn ich schon beim Tagesablauf bin, darf ich vermutlich die berühmt-berüchtigte Siesta nicht unerwähnt lassen. Ja. Die Spanier hier im Süden haben sie wirklich. Ja, auch jetzt im Herbst/Winter, wo absolut keine Notwendigkeit für das Ganze besteht.
Es geht soweit, dass man zwischen 14 Uhr und 17 Uhr Probleme hat, IRGENDETWAS zu kaufen. Die großen Supermarkt-Ketten und die großen Modetempel erbarmen sich glücklicherweise zu einer durchgängigen Öffnungszeit. In allen anderen Einrichtungen jedoch - inkl. der Universität und der absoluten Mehrheit an Verkaufsläden - ist Flaute. Einzig in Tapas-Bars herrscht zu diesem Zeitpunkt Hochkonjunktur.

Es wurde das Wort "Supermarkt" erwähnt. Wenn ich das nicht geschickt eingeflochten habe! Mein innigster Wunsch wurde nämlich erhört: endlich einmal nur 20 Meter zum nächsten Supermarkt laufen. Interessant war allerdings die Umsetzung. Entgegen der tief verwurzelten andalusischen Gemütlichkeit wurde nämlich innerhalb von kürzester(!) Zeit ein Supermarkt namens "Día" aus dem Boden gestampft. Erstaunlich ist das deshalb, weil kein Mensch in unserer Straße etwas davon mitbekommen hat. Es war nur irgendwann einmal ohne Vorwarnung ein Schild zu lesen "hier eröffnet am 24.11. ein Día". Das war sieben Tage vor Ladeneröffnung. Wenn die Spanier in allen Bereichen ihrer Wirtschaft so effizient wären, müssten die Moody's und Standard&Poor'ys dieser Welt jenseits von Aplusplusplus eine weitere Kategorie einführen. Die Kategorie "Supermarkt-Erbauer" oder so.

Abends 22 Uhr vor der Eröffnung am nächsten Tag
Interessanterweise war der Markt bereits 3(!) Tage vor Eröffnung komplett eingerichtet. Dazu gehört auch die Frischobst- und Gemüseabteilung. Wenn das mal nicht Appetit macht!
Erinnern tut mich all das daran, dass mal ein Bekannter von mir erzählte (ich glaube Tom), dass Lidl zum Teil eigentlich rentable Supermärkte schließt, abreißt und innerhalb von kürzester Zeit 50m weiter einen neuen Lidl-Markt eröffnet. Wozu das Ganze? Um die Belegschaft zu entlassen und gleichzeitig zu schlechteren Lohnbedingungen wieder neu einzustellen. Es handelt sich ja schließlich um einen anderen Markt.
Auch wenn ich immer noch skeptisch bin, ob sich das wirklich rentiert... an das Hochziehen von Einkaufstempeln in Augenblicken glaube ich nun zumindest.
Im Übrigen ist Lidl in Andalusien neben den spanischen Marken Día, Mercadona und M.A.S. erstaunlich präsent. Aldi gibt's auch. Da soll es Spekulatius geben. Mhhhh....


After all, I'm HAPPY again. Sevilla hatte ein ganz hässliches Tief zu verzeichnen. Dieses führte dazu, dass das Wetter die letzten Wochen zwar immer noch ausreichte, um jeden in Deutschland Zurückgelassenen grün vor Neid zu machen, aber meine sich entwickelnde spanische Persönlichkeit hätte sich doch etwas besseres Wetter gewünscht. Die letzten Tage war es tagsüber allerdings wieder wunderbar: 20 Grad im Schatten und in der Sonne noch ein wenig mehr. In der Nacht kratzt die Umgebung leider an dem einstelligen Gradbereich. Noch zeigt meine Tablet-Application zwar 10 Grad an, aber ich befürchte, dass sich innerhalb der nächsten nächtlichen Stunden, die ich noch mit Wachsein verbringen werde, meine Nasenhaare entschließen zusammenzufrieren.
Ich kanns nicht lassen. Tut mir leid. Ich weiß, dass ich Glück habe.

Es ist übrigens so, dass in der Tat einige Sevillaner noch nie Schnee gesehen haben. Die letzten 60 Jahre sind etwaige Flocken jeweils an der leidenschaftlichen Hülle von Sevilla, die es noch mal einige Grad wärmer macht, gescheitert. In der Umgebung meiner Stadt durfte ich allerdings mit wahrhaftigen Schnee-Zeugen reden. Vor 2 Jahren war es offensichtlich doch mal etwas kälter als sonst.

WIRKLICH glücklich war ich allerdings, als meine wunderbare Freundin mich in der letzten Woche für ein paar wenige Tage besuchen kam. Nach all der Geduldszeit waren unsere uns repräsentierenden Bären wieder vereint und der in Berlin verweilende Marcus-Bär durfte sich nach all der Zeit das sagenhafte Sevilla aus nächster Nähe mit seinem weiblichen Gegenstück anschauen. Meine Identität wird im Übrigen durch die roten Schuhe dargestellt. Schön, wenn man so sehr auf sein Äußerliches reduziert wird. Die Version 2.0 hat wahrscheinlich ein rotes Hemd!

Die beiden Bären sehen sich Anfang September ein letztes Mal. Während Frau Bärin in den Flieger nach Sevilla steigt muss Marcus-Bär sein Dasein in Berlin fristen.
Kurz vor der Ankunft ist die Euphorie groß...
... und nach einem gemeinsamen Betrachten des Sonnenunterganges (in Form der Deckenbeleuchtung)...
...machen sie es sich gemeinsam auf dem Sofa gemütlich.
Nach der Abreise ist laute Musik dabei behilflich, auf andere Gedanken zu kommen.
Ich danke für die wunderschöne Zeit. Ich denke sie war ein starkes Indiz dafür, dass Fernbeziehungen auch unter diesen Bedingungen standhalten können. Was - wenn man mal links und rechts schaut - jedoch beileibe nicht bei jedem Erasmus-Pärchen der Fall ist. Obwohl Deutsche in meiner eigenen Observations-Statistik auffällig gut abschneiden. Südeuropäische Bewohner (Spanier, Italiener) nehmen es da üblicherweise nicht ganz so genau.

Ich freue mich auf Weihnachten. Auf Schnee. Auf Menschen, die meine Sprache nutzen. Auf Vertrautheit.
Und bin trotzdem traurig, dass schon mehr als 40% meiner Zeit hier vergangen sind. Qué pena!

Bis bald mal wieder,
Marcus

PS: noch ein paar Bilder von einem gemeinsamen Festschmaus mit Kommilitonen in einem echt spanisch eingerichteten Haus mit einem Haufen an Dekorationsmöbeln:
Welch Anblick!

Let's rip it!

Gracias para el almuerzo fantástico!

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