11. Mai bis 15. Mai – Nationalparks
Manchmal möchte man alle lästigen menschgemachten
Umgebungsgeräusche ausschalten und mit jedem einzelnen Sinn aufmerksam dem Spiel der Natur folgen.
Denn es handelt sich um das beeindruckendste aller Spiele. Zu dem Leidwesen
aller (Menschen, Tiere, Pflanzen) rückt die Bestrebung, dass wir auf unsere
Umgebung achten, immer weiter in den Hintergrund. Wie häufig sitzen wir an
einem schönen lauen Abend vor einer Flimmerkiste und verpassen jene besonderen
Augenblicke?
Augenblicke wie jenen, von dem ich euch jetzt berichten
werde.
Kai und ich reisten am 11. Mai früh morgens in Riga ab. Unser
Ziel war es, in einem Ritt bis in Polens Nationalparks zu reisen. Von jenen
hatten wir in einer „Geo Spezial“, die zum Teil wunderbare Länder-Specials mit
vielen Insider-Informationen herausbringt, erfahren. In Nordost-Polen gibt es vier Nationalparks an
der Zahl. Der größte ordnet sich um einen Fluss an, der Biebrza heißt. Der
bekannteste befindet sich nahe an der weißrussischen Grenze und heißt
Bielowiza. In ihm streifen Wisentherden wild herum, eine Tierart, die Anfang
des Jahrhunderts bis auf ein paar Zoo-Exemplare ausgestorben war. Wir jedoch
entschieden uns für den kleinsten, eigenartigsten und nordöstlichen der Parks:
jenen um den See Wigry herum. (PS: dann gab es da noch „den anderen“, auf den
in der Geo nicht eingegangen wurde. „Den anderen“ haben wir leider ausgelassen.
Das werde ich mein Lebtag nicht verarbeiten können!)
Seltsam ist Wigry deswegen, weil der Nationalpark zum Teil
zivilisatorisch erschlossen ist. So kampierten wir auf einer Halbinsel, auf der
ein altes Kloster zu einer alternativen Pensions-Anlage umfunktioniert war.
Etwas weiter abgelegen gab es auch einen Camping-Platz. Weil dieser wunderschön
gelegen war und wir quasi direkt am Wasser parken konnten und unsere eigene
Badestelle direkt um die Ecke hatten, war die Entscheidung nicht schwer
gefallen.
Campingplatz. Schatten? Check! Am Wasser? Check! Wunderschöne Aussicht? Check! Gutes Wetter? Check! |
Aussicht hinter unserem Auto |
Kai und ich am Wasser |
Friede sei mit dir! |
Die Klosterkirche ist im Hintergrund sichtbar. |
Ein nachdenklicher Kai im Vordergrund der Klosterkirche |
Mönchsquartiere? Ehemals. Heutzutage: Pensionszimmer. |
Da war die Umgebung interessanter als die Kamera… |
Wir gingen baden und lernten danach alle Camping-Gäste
kennen. Dazu gehörten neben den Besitzern und einem ihrer Bekannten dann nur
noch eine weitere Person, die „System of a Down“ auf ihrer E-Gitarre spielte.
System of a Down ist eine Rockband (vereinfacht ausgedrückt), die ich schon
immer absolut genial fand. Dadurch hatte der 17-jährige Tomek auch gleich ein
Stein im Brett bei mir. Das brauchte er auch. Mit seinen etwas verqueren
satanischen Ansichten und seinem Hang zur Übertreibung wurde er mir nach
einiger Zeit unsympathisch. („Ich habe letztens dort oben ein UFO gesehen. Es
war schon das zweite Mal. Es war ein großes brennendes Kreuz.“ „Hier, probiert
den selbstgemachten Wodka meines Nachbarn. Er hat ungefähr 80-90%.“ u. Ä.)
Während der Nacht wurden wir mit ihm jedoch Zeuge dieser
etwa einstündigen märchenhaften Szene, bei der ich mir des Öfteren wünschte, er
möge doch einfach mal die Gusche halten.
Spätabends hatte sich
westlich eine gewaltige dunkle Wolkenfront aufgebaut. Die Blitze durchzuckten
immer häufiger den nächtlichen Himmel. Wir rechneten damit, dass das Gewitter
direkt auf uns zuziehen würde, doch es zeigte Gnade und wütete recht bald im
Norden. Wir begaben uns direkt an den traumhaft schönen See um dem Naturtreiben
zuzusehen. Welch Anblick! Recht bald bemerkte man, wie es auch wieder hinter
uns (also im Süden) blitzte, als wäre Heidi Klum beim Catwalk-Abschreiten
während einer wichtigen Großveranstaltung auf die Nase gefallen und würde jetzt
von allen Boulevard-Fotografen dieser Welt umlagert werden. Das schönste von
allen jedoch – war der Himmel direkt über uns! Vollkommen unbeeindruckt von den
Geschehnissen um ihn herum erstrahlte er in hellster Sternenpracht und gab
einen Eindruck davon, wie schön ein Sternenhimmel in der Wüste sein muss. Das
Zusammenspiel aus dunkler Nacht, erleuchtetem Himmelsdach, kühlem See und
blitzendem Horizont vor und hinter einem – das ist vielleicht ein Moment, wie
ich ihn nie wieder in meinem Leben erleben werde. Es war einzigartig.
Ein solches Erlebnis ist unmöglich mit der Kamera
festzuhalten. Dazu war es viel zu dunkel. Ich kann mich also nur auf meine
Erinnerung verlassen. Und es kribbelt immer noch am ganzen Körper wenn ich mich
in die Szenerie zurückdenke.
Am nächsten Tag war recht schlechtes Wetter. Wir blieben
daher am Campingplatz in Wigry. Zum Abend hin haben wir noch eine kleine
Wanderung unternommen. Ein paar Eindrücke:
Ein Boot, das schon viele Dutzend Jahre auf dem Buckel hat und ganz friedlich vor sich hinrostet, stand mitten am Wegesrand. |
Wahrlich ein wunderschönes Haus mit eigenem Privatsee. |
Ich wollte zwar eigentlich nie auf dem Land wohnen. Aber in diesem Haus… Hach… |
Am 13. Mai fuhren wir morgens zum nächsten Nationalpark, der
etwas weiter südlich liegt. Er heißt Biebrza Nationalpark und ist ein
Wallfahrtsort für Ornithologen, da es über 200 unterschiedliche Vogelarten
gibt, die hier brüten.
Bei der Bleibe hatten wir Glück. Im Ort Dolistowo folgten
wir einem Camping-Schild zu einem kleinen Privatcampingplatz, der vom
Hausbesitzer Mirek geleitet wurde. Er war sehr freundlich und gab uns viele
Informationen zu dem Naturschutzgebiet, in dem wir uns befanden.
Da man bei ihm sowohl Fahrräder als auch Kajaks ausleihen
konnte, ergriffen wir die Gelegenheit beim Schopfe und machten an den beiden
Tagen in Biebrza zwei Outdoor-Touren. Ohne weiteres Trara folgen die Bilder.
Kai. Auf dem Fahrrad. In Polen. |
Im Sumpfgebiet. Ich fotografiere Kai. |
Im Sumpfgebiet. Kai fotografiert mich. Naja, vielleicht auch eher die Blume… |
Und jetzt folgen die Bilder zu unserer Paddeltour:
Werft die Leinen los!
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Auf hoher See.
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Auf hoher See. Die zweite.
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Bedrohliche Schleuse. Gleich fließen hier ein paar
Hunderttausend Liter Wasser hinein. Ob das gut ausgeht?
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Ich bin zuversichtlich.
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Und tatsächlich. Unser Boot ist immer noch oben auf!
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Blick von der Kapitänskajüte aus |
Sagt mal, paddelt der Kai denn eigentlich auch mal? |
Wir sahen sehr viele Schwäne aus
nächster Nähe.
Hier sieht man wie der Schwan abflugbereit ist.
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Ein wunderschönes Tier. Interessanterweise…
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…rennt der Schwan auf dem Wasser und gibt dabei ein sehr mechanisch
wirkendes Geräusch von sich.
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Teilweise legen die Schwäne auf dem Wasser… |
…große Distanzen zurück.
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Hier mal eine komplette Abfolge des Abflugs.
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„Nächster Halt – Bielowieza.“ Bielowieza ist ein sehr
bekannter Nationalpark und dadurch touristisch etwas besser erschlossen. Da wir
erst spät ankamen, blieben wir vorerst auf unserem Campingplatz. Es war
leergefegt wie immer, abgesehen von – wer hätt’s gedacht – Holländern! Alt. Wie
gehabt. Aber plötzlich kam ein Auto mit Franzosen. Jungen Franzosen. Die sich
sofort auf ihre Veranda setzten und ein Bier tranken. Diese Chance konnten wir
uns nicht entgehen lassen und so hatten wir für den Abend nette
Gesprächspartner gefunden.
Während Kai und ich uns den ganzen Abend ein Bier geteilt haben, holten die Franzosen ein ums andere Bier aus dem Kofferraum. |
Am nächsten Morgen gingen wir zur Touristeninformation. Der
Bielowieza-Nationalpark ist sehr groß, aber es gibt einen Teil der als „Strenges
Gebiet Bielowieza“ bezeichnet. Nein, ich habe nicht „streng geheim“
geschrieben. Die Area 51 befindet sich woanders. Aber es ist ein innerer
Abschnitt des 1700 km² großen Gebietes, der zum Unesco Kulturerbe gezählt wird.
Bielowieza wird manchmal als „letzter Urwald Europas“ bezeichnet und beherbergt
den in der Wildbahn 1927 ausgestorbenen Wisent. In Bielowieza hat man es
geschafft, mit Hilfe von 12 weltweit verbliebenen Zoo-Exemplaren eine neue
Generation Wisente an die Natur zu gewöhnen und letztlich wieder in die Wildnis
zu entlassen.
Da ihr euch vorstellen könnt, dass es nicht unbedingt
förderlich wäre, wenn eine Fast-Food-fressende Großfamilie ihr wöchentliches
Familienpicknick direkt in der Brutstätte der Wisente zelebriert, kann man
diesen Teil nur mit einem Führer betreten. Diese Möglichkeit blieb uns leider
verwehrt, da man sich nicht kurzfristig einer Gruppe anschließen konnte.
Schade!
Diese Art von Straßenschildern gibt es garantiert nur in diesem Teil der Welt. |
An Stelle dessen gingen wir jeweils zwei sogenannte
„Bildungspfade“ entlang. Dort waren in einem Abstand von einigen Hundert Metern
Tafeln auf Polnisch und Englisch aufgestellt, die Informationen zu den
verschiedenen Baumarten des Nationalparks gaben. Dadurch wurde uns ein weiteres
Mal bewusst, wie wenig wir – bedauerlicherweise – über die Natur Bescheid
wissen.
Hinweistafel |
Viele Erklärungen waren für uns auch kaum hilfreich, weil
wir den entsprechenden englischen Begriff gar nicht einer deutschen Baumart
zuordnen konnten. Da hilft wohl nur ein wenig Nachhilfe-Unterricht!
Der Hinweg, den wir durch den Wald gingen, war relativ
unspektakulär. So etwas findet man in Deutschland an den richtigen Ecken in ähnlicher Form.
Der Rückweg ging jedoch durch sehr sumpfiges Gebiet. Der Weg
war absolut naturbelassen, sodass man des Öfteren über den Weg versperrende
Bäume klettern musste. Das erinnerte schon eher an Urwald! Es ist schade, dass
man die Stimmung auf den Fotos kaum einfangen kann. Fahrt doch mal hin und
überzeugt euch von dem von mir Beschriebenen!
Ein von Käfern in den Baumstamm gefressenes Muster. Künstlerisch wertvoll! |
Wahnsinn, wie groß das Wurzelwerk eines umgestürzten mittelgroßen Baumes ist. |
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