(09. Mai abends bis 11. Mai morgens)
… Riga erkunden!
Zusammenfassend werde ich den rückblickenden Kai sprechen
lassen: „Also Riga hat mich im Vergleich zu Wilnius nicht so sehr beeindruckt.
Nach Wilnius kann ich mir einen Wochenendausflug durchaus noch einmal
vorstellen. Durchaus. Riga reicht erst einmal.“
Warum könnte er das gesagt haben? Nun, zum ersten sind die
barocken Gebäude (siehe Fotos zur Universität) wahrhaft protzig-beeindruckend
und verleihen der ganzen Stadt etwas sehr altes. Zum zweiten haben wir in
Wilnius mehr mit Einheimischen zu tun gehabt. Das gibt einem einen anderen
Blick auf die Stadt. Unsere Couchsurfing-Versuche blieben in Riga fruchtlos.
Zum dritten hat Wilnius wunderschöne Natur mitten in der Stadt und zum vierten
das alternative Viertel Uzupio.
Nun meine Sicht zu Riga. Die Stadt ist bekannt dafür, dass
ungewöhnlich viele Gebäude Charakteristika des Jugendstils tragen. Die Free
City Tour Leiterin nannte man das vor Ort „art nouveau“. Aufgekommen um die
Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts ist dieser Architekturstil
charakterisiert durch: geschwungene Linien, typische Dekorationen (Gargoyles,
Masken) und allgemein Einfallsreichtum (Abwendung von den bis dahin geltenden Standards
beim Gebäudebau). Unter anderem dafür wurde die Innenstadt Rigas auch zum
UNESCO-Weltkulturerbe hinzugefügt.
typisches Jugendstil-Haus |
Statue mit dem Stadtpark im Hintergrund |
Der Jugendstil wurde unter anderem wesentlich von deutschen
Architekten vorangetrieben, von denen mehrere in Riga tätig waren. Generell hat
Riga eine starke Verbindung zur deutschen Kultur. Dies liegt daran, dass Riga
schon im 13. Jahrhundert durch Ritter des Deutschen Ordens besiedelt, bedrängt
und missioniert wurde. Diese haben die Geschicke der Stadt über Jahrhunderte
beeinflusst. Auch heute noch gibt es einige Deutsche, die in Riga leben. Das
Lettische scheint ein wenig verständlicher als das Litauische, weil im
Stadtbild viel häufiger Wörter auftauchen, die man intuitiv versteht. Auch
Informationstafeln sind teils auf Deutsch.
Ein Stück der Berliner Mauer |
Bemerkenswert ist das demographische Stadtbild in Riga. Nur
40%(!) der Bewohner sind Letten; einen ebenso großen Anteil stellen Russen. Der
Rest verteilt sich großzügig auf Polen, Weißrussen und sonstige Bewohner. Führt
das zu sozialen Spannungen? Und ob! Die Letten beschweren sich darüber, dass
sich die Russen nicht integrieren. Viele Russen in zweiter und dritter
Generation können kaum oder gar kein Lettisch, weil sie der Meinung seien,
Lettisch wäre nur eine minderwertige Sprache. Man sollte dazu wissen, dass
Lettland seit dem 13. Jahrhundert fast durchgängig von anderen Ländern besetzt war.
Da die Besatzungsmacht in den letzten Jahrhunderten das russische Reich war,
wird Lettland insgeheim noch immer als russischer Privatbesitz betrachtet.
Nationalistische Details wie eine eigene Sprache sind da nur hinderlich. In den
letzten zwei Jahrzehnten gab es des Öfteren Referenden, ob Russisch als zweite
Amtssprache eingeführt werden solle. Unsere Stadtführerin sagte mit vor Stolz
geschwellter Brust, dass weltweit alle Letten in die Botschaften gerannt wären,
um entschieden nein zu stimmen. Dementsprechend waren auch die jeweiligen
Ergebnisse der Referenden.
Russisch ist allgegenwärtig. Viele Letten, die wir nach dem
Weg fragten, beratschlagten sich auf Russisch, und antworteten dann auf solidem
Englisch. Man kann die Stadt als geteilt betrachten – geteilt in einen sehr
schicken, fast protzigen lettischen Teil und einen teils runtergekommen
russischen. Unsere Reiseleiterin warnte uns eindringlich davor, nach Einbruch
der Dunkelheit ins russische Viertel zu gehen. Dieses gegenseitige Misstrauen
und Integrationsproblem war beeindruckend.
Ein von Letten gehasstes russisches Protz-Gebäude (ehemals Hotel), das sich im russischen Teil der Stadt befindet. |
Straße im russischen Viertel |
Schönes Holzhaus |
Der bekannte Centrums Marktplatz, der auf vielen Hunderten Quadratmetern und in einer Handvoll von Gebäuden, die zum Teil ehemals Zeppelin-Hangare waren, hauptsächlich Lebensmittel anbietet. |
Zuallerletzt: In Riga war abends viel los. In der ersten
Nacht irrten wir ein wenig durch die hell erleuchteten Straßen, um uns
letztlich in einem viel zu teuren Viertel ein Bier zu bestellen. Man bekam den
Eindruck, dass die meisten Leute um einen herum einen Stock zum Abendbrot
gegessen hatten. Zumindest war es ein sehr feines Gebiet.
Es gab aber ebenso andere Ecken, die wir in der zweiten
Nacht entdeckten. Die Straßen waren (im Gegensatz zu Wilnius) auch wochentags
mit Jugendlichen gefüllt. Wir befanden uns in einer kleinen Bar, in der eine
Band ein ruhiges Konzert gab. Ich vernahm von der Theke her ein „Bitte“ und ein
paar weitere Deutsch-ähnliche Fetzen. Wir sprachen die beiden an und es stellte
sich heraus, dass wir zwei Weltenbummlern gegenüberstanden. Marc und René aus
dem Ruhrpott. Sie hatten eine uns vergleichbare Strecke hinter sich, mit dem
Unterschied, dass sie hauptsächlich per Bus, per Flugzeug und per pedes
unterwegs gewesen waren. Mit Ende 20 hatten die beiden Freunde ihren jeweiligen
Job gekündigt (KFZ-Mechaniker und Wirtschaftsingenieur), ihre Habseligkeiten
verkauften (Autos etc.) und sich noch einmal auf eine große Reise begeben.
Nicht, „um sich selbst zu finden“, sondern einfach, um noch einmal die
Unabhängigkeit des Lebens zu genießen. Um ein letztes Mal aus den vertrauten
Strukturen auszubrechen, um dann voller Freude wieder in das Zuhause
zurückzukehren. Um einfach mal auf die Landkarte zu tippen und zu sagen „da
will ich hin“. Um Erfahrungen zu machen, die man zu Hause einfach nicht macht.
„Um frei zu sein.“
Ich sehe da sehr starke Parallelen. Abgesehen von den
Fortbewegungsmitteln, der Zeitdauer (insgesamt 12 Monate) und den Kontinenten
(alle) war ihre Tour der unseren sehr ähnlich. Und erst als die beiden IHRE
Geschichte erzählten, verstand ich in der ganzen Klarheit UNSERE. Die eigene
Geschichte klingt in den eigenen Ohren nach einer Weile eher uninteressant.
Schließlich wird jedes Leben irgendwann ein wenig zur Routine. Auch wenn das
unsere aktuell sehr abwechslungsreich ist. Nichtsdestotrotz wiederholen sich
Tagesabläufe. Wenn man sich mit anderen Reisenden unterhält, so führen diese
einem jedoch die Einzigartigkeit des Trips vor Augen.
Durch die Schilderung von René und Marc spürte ich wieder
dieses Gefühl… dieses Gefühl der Freiheit, das mich seit Beginn der
Reiseplanung immer wieder begleitet hat. Es ist ein schönes Gefühl! Und es
lässt kaum nach. Ihr nächsten 5 Monate – ich komme!
Und noch ein paar Fotos:
Unsere Bleibe. Naja… schön wär’s |
Blick über den Fluss. Seht ihr den Eiffelturm im Hintergrund? |
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