Sonntag, 25. September 2011

Erstmeldung – Wohnungssuche und anfängliche Eindrücke


Es ist Montag, der 19. September 2011. Mehr als 192 Stunden sind an mir vorbeigegangen. Treffender wäre wohl zu sagen, dass die Stunden in einer gehörigen Geschwindigkeit an mir vorbeigerast sind. So schnell, dass wahrscheinlich jedes spanische Tempolimit auf jedweden Straßen gehörig überboten wurde. Zum Glück hält sich hier keiner an Regeln.

Spanien – Spanien … Spanien. Jaja. Du bist schon schön. Vor dem Beginn meiner Reise habe ich mich glücklicherweise mit ausreichend Terminen beladen, sodass ich keinerlei Erwartungshaltungen an mein Austausch-Semester haben konnte. Die Hürde, die ich für mein Zufriedenheitslevel überwinden musste, entsprach also ungefähr der Höhe eines Schemels. Ich denke, ich bin ganz gut hinübergekommen. Wie ein Stein, der einem schiefen Wurf ausgesetzt wird. Nur, dass der Stein jetzt am höchsten Punkt noch nicht so recht der Gravitationskraft vertrauen will. Aber da Zufriedenheit ja häufig ähnliche Verläufe aufweist, wie die allseits bekannten stabilen Börsendaten, möchte ich erst einmal keine weiteren Prognosen machen.
Eine Erkenntnis hat mich selbst überrascht, aber dennoch ist sie wahr: ich war noch nie als Backpacker unterwegs. Als ich in meinem Hostel angekommen war, musste ich mich also in die Atmosphäre einer Herberge hineinfühlen. Sie gefällt mir.
Man haust zu sechs in einem 6-Bett-Dormitory. Die Wahl des Verbes im vorigen Satz wurde bewusst gewählt. Die Habseligkeiten von typischerweise 4-6 Erasmus-Studenten liegen permanent alle auf dem vielleicht 3 m² einnehmenden Zimmerboden. So ohne weiteres findet man da nichts wieder. Kurzum – ich fühlte mich wie in meinem Studentenwohnheim (und somit durchaus wohl). Über das Miteinander in Jugendherbergen werde ich nicht viel berichten. Jeder „Veteran“ kennt das. Und jedem „Neuling“ sei geraten, dass es sehr viel Spaß macht in kürzester Zeit mit Menschen jeglicher Couleur aus aller Welt zusammenzufinden.

Eine Erkenntnis lies mich etwas schmunzeln. Dass viele Deutsche Australien und Neuseeland in einem solchen Maße bevölkern, dass man schon fast von einer bedeutenden Minderheit im Lande sprechen kann, ist bekannt. Aber – die Aussies schlagen zurück. Ich habe viele kennengelernt, die für ein achtel, viertel, halbes oder ganzes Jahr durch Europa reisen. Wo sie sich das wohl abgeschaut haben?

Im Hostel gab es sehr viele andere deutsche Erasmus-Studenten. Ich habe mich beim Kontaktaufbau bewusst etwas zurückgehalten und meine Zeit eher mit Bürgern anderer Nationen verbracht. Warum ich mich so unpatriotisch verhalte? In der Ostsee spring ich auch lieber ins kalte Wasser, ohne meinen Körper vorher zu befeuchten. Genauso handhabe ich das auch. Auch wenn die Fülle meiner Spanisch-Kenntnisse (Wörter, Grammatik) in etwa den Englisch-Kenntnissen von Günther Oettinger oder den Deutsch-Kenntnissen von Aggro Berlin entsprechen, möchte ich mich lieber durch die schwere Anfangszeit mit dem Spanisch quälen.
Es hat geklappt. Ich kann mittlerweile zumindest oberflächliche Gespräche führen. Und mit der Hilfe der Allerwelts-Sprache Englisch (die nur von einer gefühlten Handvoll Spaniern beherrscht wird) werden die Gespräche zum Teil sogar interessant! Die  Folge ist, dass ich auch jetzt hauptsächlich mit Franzosen, Italienern, Mexikanern oder Brasilianern in Kontakt trete, um die Abendplanung zu gestalten.
 
Bisher hatte ich in Sevilla einen wirklich schweren Moment. Das war am Montag, dem 12.09, dem ersten Tag meiner Wohnungssuche. Meinen überzogenen Ansprüchen, unbedingt mit Spaniern zusammenwohnen zu wollen, stand die Realität gegenüber: Telefonate empfanden meine Gegenüber vermutlich wie ein Gespräch mit einem japanischen Touristen, der in Potsdam nach dem Fernsehturm sucht. Viel Zeit – so gut wie kein Informationsaustausch. Aber hey – letztendlich muss man nur herausfinden, wo sich die Wohnung befindet und wann man sie besuchen kann. Und das habe ich bewerkstelligt. Zur Telefon-Hürde kommt hinzu, dass in Sevilla tagsüber ausnahmslos(!) Temperaturen über(!) 35°C im Schatten(!) waren. Wie heiß das ist, kennen die meisten wohl aus Strandurlauben. Hinzu kommt die Orientierungslosigkeit. Sevilla ist die am wenigsten rechtwinklige Stadt, die ich je kennengelernt habe. Schaut euch mal einen Stadtplan an. Dann ergänzt eine Prise meiner Orientierungslosigkeit und rührt das Ganze sorgfältig durch. Resultat? Ungenießbar!
Am ersten Tag hatte ich mir zwei Wohnungen angeschaut. Bei der ersten war ich der Meinung, dass sie in Ordnung wäre. Und aus lauter Frust über die Rennerei des Tages hatte ich mich entschieden, sie zu nehmen. Am Abend durfte ich einem anderen Deutschen lauschen, der einer ganzen Gruppe von alemanes eine lustige Geschichte erzählte. Über ein „scheißkleines“ Zimmer zu einem absolut überhöhten Preis. Das hat mir ganz schön die Beine weggerissen und ich war echt schlecht gelaunt. Kurz darauf kam ein roommate bis über die Grenzen der Mundwinkel strahlend zurück und erzählte von seiner gerade gefundenen perfekten Wohnung. Ich freue mich gerne für andere. Eigentlich immer. Aber in dem Augenblick war ich einfach nur fertig. Es handelte sich auch um den (bis dato) einzigen Tag, an dem ich nicht weggegangen bin. Ich schmollte wie ein kleines Kind.
Sehr interessant, was man an sich noch für Seiten entdeckt.
Ende von der Geschichte? Ich wohne jetzt genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Am folgenden Tag schaute ich mir eine Wohnung an. Begrüßung durch eine Spanierin: „Guten Tag.“ „Hablas alemán?“ „Ja, ich lerne seit 2 Jahren in der Volkshochschule.“
Nicht nur das. Sie ist 26 Jahre alt, Yoga-Lehrerin und studiert Musik. Singen, Schlagzeug und was halt noch so anfällt. Sehr sehr alternativ und ökologisch geprägt. Und eine Weltenbummlerin. Wir unterhielten uns on the spot mehr als zwei Stunden. Dann habe ich gleich die Schlüssel bekommen. Könnte die Welt schöner sein?
Es hat sich auch nicht als Trugspiel herausgestellt. Ja, die Wohnung ist verhältnismäßig alt. Ja, sie liegt ein ganzes bisschen außerhalb. Aber ich unterhalte mich ununterbrochen mit meinen Mitbewohnern. Ich wohne nicht nur mit der oben erwähnten Spanierin zusammen, die sehr gutes Englisch und Deutsch spricht (besser als ich Spanisch). Nein, hinzu kommt, dass mein weiterer Mitbewohner ein 32-jähriger Mexikaner ist. Mit dem ich mich verstehe, als kannten wir uns schon seit vielen Monaten.

In den nächsten Tagen erledigte ich alles Organisatorische. Das Beste ist, dass ich noch exakt eine Woche Urlaub habe. Ohne Verantwortlichkeiten, Verpflichtungen, Termine. Richtigen Urlaub!
Und wo Urlaub haben, wenn nicht hier - in Sevilla.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen